Eberhard Urban

Brönner Kalender, <decisions>, 1988

Walter Heckmann nennt die Folge der in diesem Kalender versammelten Bilder: decisions.

Der Bedeutung des Wortes folgend sind es des Malers Entscheidungen, Urteile, Beschlüsse. Mit denen sich die Betrachter auseinandersetzen können. Mit denen sie sich auseinandersetzen müssen - gezwungen durch die zwingende Art der Malerei, durch den sanften Zwang der Phantasie. So werden diese Bilder auch zu Entscheidungen der Betrachter. Decisions meint auch: die Kraft, Entscheidungen zu fällen, Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Dazu fordern Heckmanns Bilder heraus. Oder sie stoßen auf Ablehnung. Auch das eine Bestätigung für den Maler; schlimm wäre es für ihn, wenn alle Betrachter seine Bilder leiden könnten. Die Verursacher des Leidens, die Nutznießer und die Mitläufer - die können nicht Heckmanns Entscheidungen teilen. So scheiden diese Bilder auch die Betrachter in ihren Urteilen. Um urteilen zu können, braucht es offene Augen.

(Die Frankfurter Justitia, nicht weit von des Malers Atelier entfernt auf dem Römerberg, fuchtelt nicht blindlings mit ihrem Schwert; sie verzichtet auf die Augenbinde und sieht, gegen wen sie das Schwert gezückt hält.) Heckmann, bewaffnet mit Farbe und Phantasie, öffnet uns die Augen, damit auch wir sehen und urteilen können. Doch gerät dieser Schau-Prozeß nicht zu einer LeerVeranstaltung. Heckmann schenkt uns die Lust des Sehens und den Genuß des Erkennens. Seine Bilder sind Abweichungen von der allgemein üblichen Kunst der Inhaltslosigkeit oder der verbindlichen Unverbindlichkeit, die in der Leere der Aussage alle die verbindet, die nichts oder nichts mehr zu sagen haben - oder nichts zu sagen wagen.

Außerdem - für Heckmann selbstverständlich - beherrscht dieser Maler sein Handwerk perfekt. Das zeigt sich auch in den Effekten des Trompe-Poeil, dieser Augentäuschung, die das Bild für die Wirklichkeit ausgibt. Hier sind diese Effekte Mittel der Verfremdung, das Erkennen fördernd. Hinter manchem Bild scheint ein anderes auf. So wie manchmal hinter der Wirklichkeit die Wahrheit versteckt ist. Heckmann mag den schönen Schein - um ihn zu zerstören. Er geht konsequent zu Werk: in seine Bilder malt er Risse, Einschußlöcher, gemalte Schnüre halten Bilder zusammen. Die ewigen Werte der Kultur, die Wertsteigerung von Kunst in Frage stellend. In anderen Bildern sehen wir, wie Werte, Werke und Produkte von der Natur ruiniert werden. Die Kraft der Natur mag tröstlich sein. Freude schenken wie die von Heckmann immer wieder gemalten Kürbisse, prall und schön wie Frauenbrüste. Aber wir sollten nicht nur der Kraft der Natur vertrauen - oder um sie trauern.
Heckmanns Bilder sind Aufruf: für den Widerstand, für die Änderung.


Eberhard Urban