Besprechungen

Butzbacher Künstler Interviews

Walter Heckmann im Interview mit Hans-Joachim Müller

Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde
Eduard Roether Verlag, Darmstadt, 1982

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Nahezu auf allen Bildern, die wir von Ihnen kennen, sehen wir eine auf verschiedene Weise beschädigte Natur. Ist das zur Zeit Ihr Generalthema?

HECKMANN:
Das ist mein Thema schon lange. Ich bin zwar kein Naturalist, aber mich interessiert meine Umwelt, das, was ich selbst bin. Ich fühle mich beschädigt, ich sehe überall Beschädigungen, also mache ich das.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Selbst die Bilder, auf denen Menschen oder lebende Gegenstände - Früchte - zu sehen sind, wirken bedrohlich.

HECKMANN:
Beschädigt ist noch nicht bedrohlich. Dadurch, daß ich es gemalt habe, habe ich mich damit befreundet, auch wenn es beschädigt ist. Bedrohlich? Nein. Bedrohlich ist nur etwas, das ich nicht verstehe; dann kann ich es auch nicht malen. Bedrohung würde schon eine Beeinflussung bedeuten. Ich sehe die Umwelt, wie sie ist, mich in dieser Umwelt; aber daß Menschen bedrohlich wirken, - nein. Eher ermunternd, eine Aufforderung, sich in der gegebenen Situation zurechtzufinden, etwas zu tun. Ich fühle mich nicht bedroht, sondern ich bin aktiv. Mich interessiert nicht so sehr, daß Umwelt zerstört wird oder zerstört ist, sondern das Überbrücken eines gegebenen Zustandes.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Dennoch. Bei vielen Ihrer Bilder mußte ich an die Erzählungen von Nevil Shute denken, der schildert, wie ein U-Boot, das einem Atomkrieg entgangen ist, nun an den Küsten Australiens die tote Landschaft durch ein Periskop beobachtet. Bei Ihnen sind es Schienen, die ins Nichts führen, eine verkrustete Landschaft.

HECKMANN:
Der Betrachter meiner Bilder soll reagieren, soll die Schienen dahin bringen, wo er hinwill, er soll verändern. Er muß nur bereit dazu sein. Es sind auch Testbilder. Motivieren sie zum Verändern, oder bestätigen sie vorhandene Lethargie?

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wer solche Bilder malt wie Sie, mit vielen aktuellen Bezügen, will wirken, etwas bewirken. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

HECKMANN:
Ich kann nur sagen, daß sich viele angestoßen fühlen. Besonders junge Leute. Sie wollen anders leben, nicht so weitermachen wie bisher. Dazu trägt sicher bei, daß meine Bilder direkt sichtbar Dinge enthalten, die uns heute stören.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ein Engagement wie das, das in Ihren Bildern zum Ausdruck kommt, kann manchmal auch vom öffentlichen Bewußtsein eingeholt werden. Dann würden Ihre Bilder zur Dokumentation einer hoffentlich überwundenen Periode der Menschheit, in der der Mensch - im Namen des Fortschritts - drauf und dran war, seinen Lebensraum systematisch zu vernichten.

HECKMANN:
Ich kann das nur bestätigen.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Interessant ist hier der Funktionswechsel von Kunst. Am Anfang das Bild als Aufruf zum Nachdenken, zum Verändern. Viele Dinge kommen dann zusammen, die diese Situation tatsächlich verändern. Unser Bewußtsein für das Bedrohtsein von Landschaft, von Lebensraum ist doch geschärft. Man geht an gegen Umweltbedrohung, wehrt sich, bildet Initiativen. Und das könnte die Bilder in gewisser Beziehung ihrer ursprünglichen Funktion entheben und sie zu Belegen machen, zu einer Dokumentation von Gewesenem oder Sich-Veränderndem.

HECKMANN:
Das beträfe nur einen Teil des Bildes. Ich will gar nicht, daß es wird, wie es einmal war. Ich möchte Natur, Umwelt, die Menschen anders haben, nicht wie gestern. Mit einer Natur von Gestern könnten wir gar nichts anfangen. Es geht mir um einen Neubeginn, nicht nur was Natur betrifft, sondern unserer ganzen Welt.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Dem Fotografen sind Sie um mindestens eine Dimension voraus: Sie zeigen gleichzeitig das Schöne und dessen Zerstörung und Bedrohung. Allerdings könnte das die Fotomontage auch. Warum malen Sie manche Partien Ihrer Bilder so naturalistisch exakt? Wollen Sie an die Farbfotoerfahrungen von Millionen von Knipsern anknüpfen?

HECKMANN:
Da möchte ich gerne anknüpfen, weil das die Möglichkeit des Einstiegs in die Bilder auch für den Knipser wäre. Die Bilder sollen von jedem verstanden werden, gerade auch von dem, der ja auch ein „Bild“ macht. Ich sehe gar keinen Unterschied zwischen einem gemalten und einem fotografierten Bild. Der Kunststellenwert ist für mich der gleiche. Die Fotomontage und das Foto erreichen die gleiche Bildmöglichkeit. Erst kommt das Was, daraus ergibt sich das Wie.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wir, die wir alle fotografieren, werden aber bemerken, daß die Themen und die Motive, die Sie malen, in unseren Fotoalben fehlen, daß wir nicht so scharf gesehen, nur die Kirchen, die schöne Landschaft, die Familie aufs Zelluloid gebannt haben. Ihre Bilder können, ausgehend davon, die Augen öffnen.

HECKMANN:
Kennen Sie Fotos von August Sander? Nur Leute, so wie sie sind, wie sie damals waren, nichts arrangiert. Kunstwerke! - Sie haben gefragt, warum ich manche Partien so exakt male. Nun, vielleicht verliebe ich mich ins Detail, genau kann ich das gar nicht sagen. Die Steinchen, die ich oft so präzise male, führen in den Raum, sollen ein Raumerlebnis einleiten.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ein Problem künstlerischer Darstellung von Gedanken, Ereignissen, Entwicklungen ist es, daß die tieferen Ursachen des Dargestellten nicht oder nur schwer mitzuzeigen sind. Ihre Bilder werden wahrscheinlich nur von solchen Betrachtern richtig verstanden werden, die über die betreffenden Sujets gut informiert sind.

HECKMANN:
Das ist richtig, obwohl ich versuche, u. U. durch Zitate, das Gemeinte zu verdeutlichen. Ich kenne ja die Betrachter nicht, kann nicht mit ihnen reden. Daher versuche ich, so deutlich wie möglich zu machen, was ich denke, meine, fühle. Auch glaube ich, die Meinung vieler zu äußern, die ähnliches darstellen würden, wenn sie Bilder malten.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Im Gegensatz zu literarischen Darstellungen, die Ursachen für Zustände deutlich machen, kann das Bild meist nur Momentaufnahme sein. Der ganze weitere Prozeß ist dem Betrachter überlassen. Beim Text muß sich der Leser mit einer bestimmten Meinung über die Ursachen auseinandersetzen. Das ist beim Bild im allgemeinen nicht möglich, es sei denn, man malte literarische Bilder, ganze Sequenzen.

HECKMANN:
Für mich ist der Gegenstand meiner Bilder nicht nur die Umwelt, sondern das eigene Ich, eine Identifikationsmöglichkeit mit Welt.
Betrachter und ich leben ja in der gleichen Welt. Ich bin auch deswegen von bestimmter Pinselführung o. ä. abgekommen und habe das Malen so weit reduziert, daß das Bild auch von jemand anderem gemalt sein könnte. Wenn ich ältere Bilder von mir betrachte, ertappe ich mich oft dabei, daß ich nur die Bilder anschaue, gar nicht so sehr daran denke, daß ich sie selbst gemalt habe. Die meisten meiner Bilder sollen die Identifikation mit uns selbst und unserem Umraum ermöglichen. Da sehe ich mich auch nicht so sehr als Maler, der den anderen gegenübersteht. In eigene Ausstellungen gehe ich wie ein Besucher. Mich interessieren Bilder insgesamt. Sie sind ja Abbilder, und mehr. Sie sagen etwas über den Menschen und die Menschen aus, die dahinterstehen. Ich habe viele Bilder, die ich einmal gesehen habe - gemalte Abbilder oder leibhaftig Gesehenes - fest im Kopf. Ich bin auch kein Sammler, habe keine Vorlieben für bestimmte Bilder. Was ist Bild? Nur etwas, das mit Pinsel, Farbe und Leinwand gemacht ist und an der Wand hängt? Und Kunst? Nun, ich bin Maler, nicht Künstler.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ihre „Einschußbilder” gehen inhaltlich über das Bekenntnis zur Friedfertigkeit hinaus. „Gefährliche Argumentation“ als Titel zum entsprechenden Bild besagt doch, daß Gewalt nicht nur verbrecherisch an sich ist. Weit über das Unmittelbare hinaus reicht die Gefährlichkeit dieser Art von Argumentation; denn das Einschußloch steht ja auch für eine Atombombenexplosion und damit für das mögliche Ende der Menschheit. Sehen wir das richtig?

HECKMANN:
Das stimmt wohl; aber ich meine das nicht ganz so. Wichtig ist: wenn ein Einschußloch da ist, kommt eine Art von Gemütlichkeit beim Betrachter zustande. Er sitzt ja hinter dem Gerät, mit dem geschossen wurde. Auf ihn richtet es sich nicht. Das Ausschußloch ist etwas anderes, wirkt auf manche unangenehm. Da muß Psychologisches dahinterstecken. Die Leute gingen schnell zum nächsten Bild. Testbilder! Ich kann sehen, ob und wie sie wirken. Obwohl es nur ein Spiel ist, irritiert es den Betrachter erheblich. Ich mache dem Menschen die Zustände sichtbar, lasse ihn erleben, wie sehr er sich betroffen fühlt, wenn etwas auf ihn zukommt, und wie wenig, wenn etwas zwar auch mit Gewalt zu tun hat, aber von ihm weggeht. Diese Bilder, also die mit Ausschußlöchern, waren schwer verkäuflich. Die Menschen wollen offensichtlich nicht damit leben, ohne genau zu wissen, warum. Für mich war es eine Bestätigung meiner Absichten und Auffassungen. Denn es sieht so aus, als lebe man mit Einschußlöchern lieber.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Das wäre ja noch schlimmer.

HECKMANN:
Ja, sehen Sie, ich habe mich gefreut, daß man mit den Ausschußlöchern nicht leben wollte. Daß die andere Schußrichtung aber nicht diese Wirkung hatte, heißt doch wohl, daß man mit der Hungersnot in Indien leben kann, mit Atomexplosionen auf dem BikiniAtoll auch. Daß man ins Elsaß Atomkraftwerke stellen kann, nicht aber nach Wyhl, denn das ist bei uns. Da wird mit zweierlei Maß gemessen! Ob Schußloch für Atomexplosion steht? Ja. Ich freue mich, daß dem Inhalt meiner Bilder so große Aufmerksamkeit gewidmet wird. In Ihren Fragen zeigt sich deutlich, daß das Was wichtig ist. Vor 10, 15 Jahren hätte man formalästhetische Fragen in den Vordergrund gestellt.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Mußten Sie sich angesichts der formalen Makellosigkeit Ihrer Bilder mit dem Vorwurf der Asthetisierung von gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen?

HECKMANN:
Eigentlich nicht, weil die „Makellosigkeit“ heute durchaus üblich ist. Es gab Zeiten, da taten es ein paar wilde Pinselstriche. Ich habe meine Malweise nie begründen müssen. Auch werden die gesellschaftlichen Probleme durch Bilder nicht ästhetisiert. Wir haben heute die ganze Zeit nicht vom Bildermachen, sondern von gesellschaftlichen Problemen gesprochen, haben völlig vergessen, wie das Bild gemacht ist. Ästhetik hin, Asthetik her. Bilder sind heute eben so gut wie möglich „gemacht“, - ein treffendes Wort übrigens.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Der Vorwurf der „Asthetisierung” geht doch eigentlich grundsätzlich ins Leere; denn wenn man eine malerisch gekonnte Darstellung eines problematischen Gegenstandes schon als Verharmlosung, als Schönung des Problems an sich sieht, dann träfe das auf Kunst und Literatur insgesamt zu, machte sie fragwürdig, vielleicht überflüssig. Jeder weiß doch aber, daß die Darstellung von Etwas nicht das Dargestellte selbst ist.

HECKMANN:
jenseits einer Wasserscheide in der Mitte wird es eine formalästhetisch verschlüsselte, abstrakte und auf der anderen Seite eine gesellschaftskritisch direkte Aussage geben. Abweichungen in beide Extreme können verdrießlich sein. Thema und Darstellung müssen sich die Waage halten. Die Funktionstüchtigkeit der Kunst kann beim zu starken Ausschlag des Pendels leiden. Es gibt kein Medium, das niemanden erreicht. Nur alle kann es nicht erreichen. Das ist nun mal so. Aber natürlich schränken zu starke Verschlüsselungen über die ohnehin bestehenden Verständnisschranken hinaus noch zusätzlich ein.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wie sind Sie zur bildenden Kunst gekommen?

HECKMANN:
Mehr oder minder zufällig. Ich wollte Ingenieur werden, Maschinenbauingenieur. Ich habe aber mit dem Studium aufgehört. Als Kind war ich schon ein guter Zeichner, immer Eins. Meine einzige deutliche Begabung. Ich habe Zeichnen vor dem Sprechen gelernt. Mit einem Jahr habe ich schon Gegenstände gezeichnet. Mein wichtigstes Spielzeug war ein Bleistift. Sprechen habe ich sehr spät gelernt.
Ober Kontakte mit Freunden bin ich schließlich zum Malen gekommen, in Freiburg habe ich eine Kunstakademie besucht. Grafische Techniken, Zeichnen standen im Vordergrund. Es war auch eine ökonomische Frage: Dort waren Pressen vorhanden, man brauchte nur noch Papier und Farben. Später bin ich nach München gegangen. Über diese Zeit gibt es nichts Wesentliches zu vermelden. Gearbeitet habe ich damals sehr viel, viel gezeichnet. Von Dix war ich beeindruckt, von Grosz. Nicht beeinflußt. Damals interessierte sich kaum jemand dafür, 1951/52. Nur Abstraktes zählte.
Sehr lange war ich dann Bildhauer. Ab 1953 habe ich nur noch gebildhauert. Das lag daran, daß ich sehr gegenstandsbetont war und sich die Plastik als eine Ausweichmöglichkeit gegenüber der Vorherrschaft der Abstrakten anbot. Plastik ist immer gegenständlich, auch die abstrakteste. Das ging bis 1967, immer begleitet von Bildern, die auf Plastik Bezug nahmen. 1968 habe ich mit Plastiken aufgehört. Ich war damals mit Freunden in Marokko unterwegs und habe viel gezeichnet. Diese Freude am Zeichnen hat bis jetzt angehalten.

ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Kunstszene?

HECKMANN:
Die „Szene“ beurteile ich sehr pessimistisch. Wir schwelgen zu sehr in Nostalgie-Gefühlen. Einfältige Landschaftspinseleien, kleine Küchenmeistereien! Der realistische Zug in der Gesellschaft und in der Malerei gleitet ab ins Gemütliche. „Das ist dann genau die Zeit, da frier ich vor Gemütlichkeit“, so hat das Franz Josef Degenhardt einmal ausgedrückt. Persönliche Mythologien, Grabfunde, - auf Schliermanns Spuren sich selbst zu finden, das wird wohl nicht mehr möglich sein. Das ist Ausflucht, Weltflucht. Wen ich mag? David Hockney, Hamilton, Janssen, den frühen Wunderlich, Böttger, Petrick, die Spanier: Equipo Cronica. Zu Abstrakten habe ich kein Verhältnis.