ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Nahezu auf allen Bildern, die wir von Ihnen kennen, sehen wir eine
auf verschiedene Weise beschädigte Natur. Ist das zur Zeit Ihr
Generalthema?
HECKMANN:
Das ist mein Thema schon lange. Ich bin zwar kein Naturalist, aber
mich interessiert meine Umwelt, das, was ich selbst bin. Ich fühle
mich beschädigt, ich sehe überall Beschädigungen, also
mache ich das.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Selbst die Bilder, auf denen Menschen oder lebende Gegenstände
- Früchte - zu sehen sind, wirken bedrohlich.
HECKMANN:
Beschädigt ist noch nicht bedrohlich. Dadurch, daß ich
es gemalt habe, habe ich mich damit befreundet, auch wenn es beschädigt
ist. Bedrohlich? Nein. Bedrohlich ist nur etwas, das ich nicht verstehe;
dann kann ich es auch nicht malen. Bedrohung würde schon eine
Beeinflussung bedeuten. Ich sehe die Umwelt, wie sie ist, mich in
dieser Umwelt; aber daß Menschen bedrohlich wirken, - nein.
Eher ermunternd, eine Aufforderung, sich in der gegebenen Situation
zurechtzufinden, etwas zu tun. Ich fühle mich nicht bedroht,
sondern ich bin aktiv. Mich interessiert nicht so sehr, daß
Umwelt zerstört wird oder zerstört ist, sondern das Überbrücken
eines gegebenen Zustandes.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Dennoch. Bei vielen Ihrer Bilder mußte ich an die Erzählungen
von Nevil Shute denken, der schildert, wie ein U-Boot, das einem Atomkrieg
entgangen ist, nun an den Küsten Australiens die tote Landschaft
durch ein Periskop beobachtet. Bei Ihnen sind es Schienen, die ins
Nichts führen, eine verkrustete Landschaft.
HECKMANN:
Der Betrachter meiner Bilder soll reagieren, soll die Schienen dahin
bringen, wo er hinwill, er soll verändern. Er muß nur bereit
dazu sein. Es sind auch Testbilder. Motivieren sie zum Verändern,
oder bestätigen sie vorhandene Lethargie?
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wer solche Bilder malt wie Sie, mit vielen aktuellen Bezügen,
will wirken, etwas bewirken. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
HECKMANN:
Ich kann nur sagen, daß sich viele angestoßen fühlen.
Besonders junge Leute. Sie wollen anders leben, nicht so weitermachen
wie bisher. Dazu trägt sicher bei, daß meine Bilder direkt
sichtbar Dinge enthalten, die uns heute stören.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ein Engagement wie das, das in Ihren Bildern zum Ausdruck kommt, kann
manchmal auch vom öffentlichen Bewußtsein eingeholt werden.
Dann würden Ihre Bilder zur Dokumentation einer hoffentlich überwundenen
Periode der Menschheit, in der der Mensch - im Namen des Fortschritts
- drauf und dran war, seinen Lebensraum systematisch zu vernichten.
HECKMANN:
Ich kann das nur bestätigen.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Interessant ist hier der Funktionswechsel von Kunst. Am Anfang das
Bild als Aufruf zum Nachdenken, zum Verändern. Viele Dinge kommen
dann zusammen, die diese Situation tatsächlich verändern.
Unser Bewußtsein für das Bedrohtsein von Landschaft, von
Lebensraum ist doch geschärft. Man geht an gegen Umweltbedrohung,
wehrt sich, bildet Initiativen. Und das könnte die Bilder in
gewisser Beziehung ihrer ursprünglichen Funktion entheben und
sie zu Belegen machen, zu einer Dokumentation von Gewesenem oder Sich-Veränderndem.
HECKMANN:
Das beträfe nur einen Teil des Bildes. Ich will gar nicht, daß
es wird, wie es einmal war. Ich möchte Natur, Umwelt, die Menschen
anders haben, nicht wie gestern. Mit einer Natur von Gestern könnten
wir gar nichts anfangen. Es geht mir um einen Neubeginn, nicht nur
was Natur betrifft, sondern unserer ganzen Welt.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Dem Fotografen sind Sie um mindestens eine Dimension voraus: Sie zeigen
gleichzeitig das Schöne und dessen Zerstörung und Bedrohung.
Allerdings könnte das die Fotomontage auch. Warum malen Sie manche
Partien Ihrer Bilder so naturalistisch exakt? Wollen Sie an die Farbfotoerfahrungen
von Millionen von Knipsern anknüpfen?
HECKMANN:
Da möchte ich gerne anknüpfen, weil das die Möglichkeit
des Einstiegs in die Bilder auch für den Knipser wäre. Die
Bilder sollen von jedem verstanden werden, gerade auch von dem, der
ja auch ein „Bild“ macht. Ich sehe gar keinen Unterschied
zwischen einem gemalten und einem fotografierten Bild. Der Kunststellenwert
ist für mich der gleiche. Die Fotomontage und das Foto erreichen
die gleiche Bildmöglichkeit. Erst kommt das Was, daraus ergibt
sich das Wie.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wir, die wir alle fotografieren, werden aber bemerken, daß die
Themen und die Motive, die Sie malen, in unseren Fotoalben fehlen,
daß wir nicht so scharf gesehen, nur die Kirchen, die schöne
Landschaft, die Familie aufs Zelluloid gebannt haben. Ihre Bilder
können, ausgehend davon, die Augen öffnen.
HECKMANN:
Kennen Sie Fotos von August Sander? Nur Leute, so wie sie sind, wie
sie damals waren, nichts arrangiert. Kunstwerke! - Sie haben gefragt,
warum ich manche Partien so exakt male. Nun, vielleicht verliebe ich
mich ins Detail, genau kann ich das gar nicht sagen. Die Steinchen,
die ich oft so präzise male, führen in den Raum, sollen
ein Raumerlebnis einleiten.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ein Problem künstlerischer Darstellung von Gedanken, Ereignissen,
Entwicklungen ist es, daß die tieferen Ursachen des Dargestellten
nicht oder nur schwer mitzuzeigen sind. Ihre Bilder werden wahrscheinlich
nur von solchen Betrachtern richtig verstanden werden, die über
die betreffenden Sujets gut informiert sind.
HECKMANN:
Das ist richtig, obwohl ich versuche, u. U. durch Zitate, das Gemeinte
zu verdeutlichen. Ich kenne ja die Betrachter nicht, kann nicht mit
ihnen reden. Daher versuche ich, so deutlich wie möglich zu machen,
was ich denke, meine, fühle. Auch glaube ich, die Meinung vieler
zu äußern, die ähnliches darstellen würden, wenn
sie Bilder malten.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Im Gegensatz zu literarischen Darstellungen, die Ursachen für
Zustände deutlich machen, kann das Bild meist nur Momentaufnahme
sein. Der ganze weitere Prozeß ist dem Betrachter überlassen.
Beim Text muß sich der Leser mit einer bestimmten Meinung über
die Ursachen auseinandersetzen. Das ist beim Bild im allgemeinen nicht
möglich, es sei denn, man malte literarische Bilder, ganze Sequenzen.
HECKMANN:
Für mich ist der Gegenstand meiner Bilder nicht nur die Umwelt,
sondern das eigene Ich, eine Identifikationsmöglichkeit mit Welt.
Betrachter und ich leben ja in der gleichen Welt. Ich bin auch deswegen
von bestimmter Pinselführung o. ä. abgekommen und habe das
Malen so weit reduziert, daß das Bild auch von jemand anderem
gemalt sein könnte. Wenn ich ältere Bilder von mir betrachte,
ertappe ich mich oft dabei, daß ich nur die Bilder anschaue,
gar nicht so sehr daran denke, daß ich sie selbst gemalt habe.
Die meisten meiner Bilder sollen die Identifikation mit uns selbst
und unserem Umraum ermöglichen. Da sehe ich mich auch nicht so
sehr als Maler, der den anderen gegenübersteht. In eigene Ausstellungen
gehe ich wie ein Besucher. Mich interessieren Bilder insgesamt. Sie
sind ja Abbilder, und mehr. Sie sagen etwas über den Menschen
und die Menschen aus, die dahinterstehen. Ich habe viele Bilder, die
ich einmal gesehen habe - gemalte Abbilder oder leibhaftig Gesehenes
- fest im Kopf. Ich bin auch kein Sammler, habe keine Vorlieben für
bestimmte Bilder. Was ist Bild? Nur etwas, das mit Pinsel, Farbe und
Leinwand gemacht ist und an der Wand hängt? Und Kunst? Nun, ich
bin Maler, nicht Künstler.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Ihre „Einschußbilder” gehen inhaltlich über
das Bekenntnis zur Friedfertigkeit hinaus. „Gefährliche
Argumentation“ als Titel zum entsprechenden Bild besagt doch,
daß Gewalt nicht nur verbrecherisch an sich ist. Weit über
das Unmittelbare hinaus reicht die Gefährlichkeit dieser Art
von Argumentation; denn das Einschußloch steht ja auch für
eine Atombombenexplosion und damit für das mögliche Ende
der Menschheit. Sehen wir das richtig?
HECKMANN:
Das stimmt wohl; aber ich meine das nicht ganz so. Wichtig ist: wenn
ein Einschußloch da ist, kommt eine Art von Gemütlichkeit
beim Betrachter zustande. Er sitzt ja hinter dem Gerät, mit dem
geschossen wurde. Auf ihn richtet es sich nicht. Das Ausschußloch
ist etwas anderes, wirkt auf manche unangenehm. Da muß Psychologisches
dahinterstecken. Die Leute gingen schnell zum nächsten Bild.
Testbilder! Ich kann sehen, ob und wie sie wirken. Obwohl es nur ein
Spiel ist, irritiert es den Betrachter erheblich. Ich mache dem Menschen
die Zustände sichtbar, lasse ihn erleben, wie sehr er sich betroffen
fühlt, wenn etwas auf ihn zukommt, und wie wenig, wenn etwas
zwar auch mit Gewalt zu tun hat, aber von ihm weggeht. Diese Bilder,
also die mit Ausschußlöchern, waren schwer verkäuflich.
Die Menschen wollen offensichtlich nicht damit leben, ohne genau zu
wissen, warum. Für mich war es eine Bestätigung meiner Absichten
und Auffassungen. Denn es sieht so aus, als lebe man mit Einschußlöchern
lieber.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Das wäre ja noch schlimmer.
HECKMANN:
Ja, sehen Sie, ich habe mich gefreut, daß man mit den Ausschußlöchern
nicht leben wollte. Daß die andere Schußrichtung aber
nicht diese Wirkung hatte, heißt doch wohl, daß man mit
der Hungersnot in Indien leben kann, mit Atomexplosionen auf dem BikiniAtoll
auch. Daß man ins Elsaß Atomkraftwerke stellen kann, nicht
aber nach Wyhl, denn das ist bei uns. Da wird mit zweierlei Maß
gemessen! Ob Schußloch für Atomexplosion steht? Ja. Ich
freue mich, daß dem Inhalt meiner Bilder so große Aufmerksamkeit
gewidmet wird. In Ihren Fragen zeigt sich deutlich, daß das
Was wichtig ist. Vor 10, 15 Jahren hätte man formalästhetische
Fragen in den Vordergrund gestellt.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Mußten Sie sich angesichts der formalen Makellosigkeit Ihrer
Bilder mit dem Vorwurf der Asthetisierung von gesellschaftlichen Problemen
auseinandersetzen?
HECKMANN:
Eigentlich nicht, weil die „Makellosigkeit“ heute durchaus
üblich ist. Es gab Zeiten, da taten es ein paar wilde Pinselstriche.
Ich habe meine Malweise nie begründen müssen. Auch werden
die gesellschaftlichen Probleme durch Bilder nicht ästhetisiert.
Wir haben heute die ganze Zeit nicht vom Bildermachen, sondern von
gesellschaftlichen Problemen gesprochen, haben völlig vergessen,
wie das Bild gemacht ist. Ästhetik hin, Asthetik her. Bilder
sind heute eben so gut wie möglich „gemacht“, - ein
treffendes Wort übrigens.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Der Vorwurf der „Asthetisierung” geht doch eigentlich
grundsätzlich ins Leere; denn wenn man eine malerisch gekonnte
Darstellung eines problematischen Gegenstandes schon als Verharmlosung,
als Schönung des Problems an sich sieht, dann träfe das
auf Kunst und Literatur insgesamt zu, machte sie fragwürdig,
vielleicht überflüssig. Jeder weiß doch aber, daß
die Darstellung von Etwas nicht das Dargestellte selbst ist.
HECKMANN:
jenseits einer Wasserscheide in der Mitte wird es eine formalästhetisch
verschlüsselte, abstrakte und auf der anderen Seite eine gesellschaftskritisch
direkte Aussage geben. Abweichungen in beide Extreme können verdrießlich
sein. Thema und Darstellung müssen sich die Waage halten. Die
Funktionstüchtigkeit der Kunst kann beim zu starken Ausschlag
des Pendels leiden. Es gibt kein Medium, das niemanden erreicht. Nur
alle kann es nicht erreichen. Das ist nun mal so. Aber natürlich
schränken zu starke Verschlüsselungen über die ohnehin
bestehenden Verständnisschranken hinaus noch zusätzlich
ein.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wie sind Sie zur bildenden Kunst gekommen?
HECKMANN:
Mehr oder minder zufällig. Ich wollte Ingenieur werden, Maschinenbauingenieur.
Ich habe aber mit dem Studium aufgehört. Als Kind war ich schon
ein guter Zeichner, immer Eins. Meine einzige deutliche Begabung.
Ich habe Zeichnen vor dem Sprechen gelernt. Mit einem Jahr habe ich
schon Gegenstände gezeichnet. Mein wichtigstes Spielzeug war
ein Bleistift. Sprechen habe ich sehr spät gelernt.
Ober Kontakte mit Freunden bin ich schließlich zum Malen gekommen,
in Freiburg habe ich eine Kunstakademie besucht. Grafische Techniken,
Zeichnen standen im Vordergrund. Es war auch eine ökonomische
Frage: Dort waren Pressen vorhanden, man brauchte nur noch Papier
und Farben. Später bin ich nach München gegangen. Über
diese Zeit gibt es nichts Wesentliches zu vermelden. Gearbeitet habe
ich damals sehr viel, viel gezeichnet. Von Dix war ich beeindruckt,
von Grosz. Nicht beeinflußt. Damals interessierte sich kaum
jemand dafür, 1951/52. Nur Abstraktes zählte.
Sehr lange war ich dann Bildhauer. Ab 1953 habe ich nur noch gebildhauert.
Das lag daran, daß ich sehr gegenstandsbetont war und sich die
Plastik als eine Ausweichmöglichkeit gegenüber der Vorherrschaft
der Abstrakten anbot. Plastik ist immer gegenständlich, auch
die abstrakteste. Das ging bis 1967, immer begleitet von Bildern,
die auf Plastik Bezug nahmen. 1968 habe ich mit Plastiken aufgehört.
Ich war damals mit Freunden in Marokko unterwegs und habe viel gezeichnet.
Diese Freude am Zeichnen hat bis jetzt angehalten.
ARBEITSGEMEINSCHAFT:
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Kunstszene?
HECKMANN:
Die „Szene“ beurteile ich sehr pessimistisch. Wir schwelgen
zu sehr in Nostalgie-Gefühlen. Einfältige Landschaftspinseleien,
kleine Küchenmeistereien! Der realistische Zug in der Gesellschaft
und in der Malerei gleitet ab ins Gemütliche. „Das ist
dann genau die Zeit, da frier ich vor Gemütlichkeit“, so
hat das Franz Josef Degenhardt einmal ausgedrückt. Persönliche
Mythologien, Grabfunde, - auf Schliermanns Spuren sich selbst zu finden,
das wird wohl nicht mehr möglich sein. Das ist Ausflucht, Weltflucht.
Wen ich mag? David Hockney, Hamilton, Janssen, den frühen Wunderlich,
Böttger, Petrick, die Spanier: Equipo Cronica. Zu Abstrakten
habe ich kein Verhältnis.