Die Kriterien der Phantasie sind bildlich, und das bedeutet: anschaubar,
doch unverständlich. Erscheint sie plastisch, ist sie den Händen
allenfalls begreifbar, doch nicht den Worten. Wo das Auge Richter ist,
übernimmt die Sprache die Dienste des Pedells. Phantasie an sich
ist so ufer wie kriterienlos. Sie definiert sich aus der Unendlichkeit
der Möglichkeiten, das heißt, überhaupt nicht. Aber
sie wirft sich hinein in diese Unendlichkeit und bringt darin etwas
zum Stehen. Solche Feststellungen phantastischer Allfältigkeit
sind die Plastiken, die sich hier zeigen.
Derartige Qualität offenbart bei näherem Zusehen ein inneres
Paradox: Die Konkretion des Phantastischen hat seine Formalisierung
zur Folge, Maße schießen ins Maßlose, die Lebendig¬keit
absoluter Willkür ist gebannt, der Mensch wird eines Gegenstandes
habhaft. Ist das zu ver¬stehen? So wenig wie Schöpfung überhaupt,
dieser Übergang von reiner Potenz in Aktualität. Übergang
ist das Wesen der Gebilde Walter Heckmanns, wobei das Wort «Wesen»
bewusst gehalten sein will in seinem statischen und dynamischen Gehalt:
Dasein und Da werden in Einem. Die Sprache gerät in Not, wenn sie
sich um Paradoxa bewegt. Noch ein Zugriffsversuch des Bild¬losen
auf das Bildliche: Diese Plastiken haben eine zukünftige Qualität,
obwohl sie wirklich, also gegenwärtig dastehen. Sie sind dazwischen,
übergänglich. Daher rührt ihr erregender sinnlicher Reiz.
Man kann sich an ihnen nicht beruhigen.
Konkretion des Phantastischen, sagten wir, hat eine Formalisierung zur
Folge, und wollen das festhalten: Plastiken haben es an sich, in Dimensionen
zu sein, sich in Abmessungen zu entfalten - wenn auch nicht, sich darin
zu erschöpfen. In dieser banal erscheinenden Eigenschaft liegt
die Möglichkeit zur Kunst, zur Kunst überhaupt und zur bildenden
im Besonderen. Reine Bizarrerie hat zwar in dem besagten Sinn etwas
Schöpferisches, aber schwerlich ästhetischen Belang. Proportionen,
Korrespondenzen, wenn auch intimer, gleichsam hinterhältiger Art,
stützen die Plastiken Heckmanns. Es sind Gewichte in ihnen verteilt.
Der wortwaltende Verstand tappt zwar im Unkenntlichen, aber das besser
bemessene Auge versteht und bringt die formalen Eigen¬tümlichkeiten
der ästhetischen Empfindung nahe. Suchen wir noch etwas einzugrenzen,
was uns hier kunstvoll anmutet, so stoßen wir auf die früheren
Arbeiten Heckmanns: Das klassische Sujet der bildenden Kunst, das Maß
aller Dinge, der Mensch und menschliche Körper war dort zentral.
Gegenständlich, in der gängigen Terminologie, erschienen jene
Plastiken, und abstrakt sind sie noch heute nicht. Verfremdungen der
gewohnten Maße damals, jetzt aber nicht mehr rückwärtsgewandt,
sich abstoßend am Bewährten wie Zweifelhaften, sondern ausgreifend
nach vorn von dem gesicherten Grund der dem bildnerischen Bewusstsein
einwohnenden, erworbenen Formen und Gestalten aus. Sagen wir: Ein Prozess
des Eroberns aus der Erinnerung. Das charakterisiert die heutigen Arbeiten
Heckmanns. Wo er gelegentlich diesen Grund verließ, den Rückhalt
aufgab und das Material absolut, losgelöst, wenn man will «abstrakt»
formte, verloren die Ergebnisse an Überzeugungskraft, blieben unverbindliche
Kuriosa, sofern sie sich nicht von vornherein nur ornamental verstanden.
Phantasie, sagten wir eingangs, sei unverständlich. Inzwischen
haben wir geklärt, dass sie, wenn sie im Bereich der Kunst sich
materialisiert, nicht formlos sein darf. Bedarf es noch eines an¬schaulichen
Beweises hierfür, so liefern den die Bilder Heckmanns. Ihre Verwandtschaft
mit den Plastiken ist evident. Doch stellen sie nicht thematische Variationen
dar, dies gerade nicht, sondern sind einkreisende Annäherungen
an jenen Ort im Ortlosen, den eine Plastik einnehmen, den sie einbilden
soll. Wenn ein etwas pittoreskes und milieufernes Bild erlaubt ist:
die Vorbe¬reitungen zur Jagd, die Pirsch und das Warten. Wie der
Schuss, plötzlich, unheimlich in ihrer raschen, zugreifenden Konsequenz
ist dann die Arbeit Heckmanns im plastischen Material.
Übrigens ist das Material kein Gegner mehr. Nicht zufällig
ist auch terminologisch aus dem Bild¬hauer der Plastiker geworden.
Man könnte vermuten, dass hier das anbrechende Zeitalter der Plaste,
die Stein-, Bronze- und Eisenzeit ablösend, eine Modernität
des künstlerischen Werk¬stoffes herausgefordert hat, oder,
noch mehr im Vordergrund, dass der Künstler in dieser sich immer
mehr beeilenden, zeitraffenden Welt die Geduld zum langsam sich steigernden
Kampf mit den klassischen, widerstandsreichen Werkstoffen verloren hat.
Dieser Argwohn ist unbe¬gründet- das zeigt schon die erwähnte
Weise der einkreisenden Vorbereitung einer plastischen Schöpfung
Heckmanns. Einen Bezug zur Zeit hat dieses Material jedoch gewiss. Wie
sehr neben den stoffimmanenten Gegebenheiten der Konsistenz, Steife
und vielfachen Formbarkeit des Primärmaterials auch die Oberflächen-
und Körperbeschaffenheit des fertig gegossenen Werkes in direkter
Korrespondenz zum Geist der Zeit steht, ist dem Hersteller wie dem Betrachter
wohl eher hintergründig als ausdrücklich berußt und
lädt sich auch kaum definieren.
Wichtiger erscheint etwas anderes. Früher hatte Heckmann den gipsähnlichen,
also fast völlig amorphen Eisenzement um Drahtgerüste gebaut.
Schon da das Suchen nach einem nachgie¬bigen und doch statischen
Material. Aber erst im Styropor hat er offenbar den ihm entsprechen¬den
Werkstoff gefunden. Entsprechend nämlich seiner latenten Intention
des erinnernden Ausgreifens, des formal gehaltenen Einbruchs in das
Phantastische. Dieser Werkstoff verbindet auf höchst erstaunliche
Weise die gleichen paradoxen Eigenschaften, wie sie in den als fertige
Gebilde betrachteten Plastiken zum Stehen gekommen sind: Absolute formale
Neutralität (das Kennzeichen des Phantastischen) und ein unbegrenztes
Angebot konsolidierbarer Formen (wie sie die Erinnerung bietet). Styropor
ist schneidbar und warmverformbar, lässt sich biegen und kleben,
drücken, brechen und brennen und behält dennoch seine räumliche
Steifheit. Man möchte sagen: ein hingebungsvolles und zugleich
folgsames Material, plastische Luft.
So ergänzen und reflektieren sich hier ein eben erfundenes artifizielles
Medium und ein beson¬derer Gestaltungswille in einmaliger Weise
zur Originalität. Wie originell, wie frei in einem abso¬luten
Zwischenraum stehend Heckmanns Bildwerke sind, zeigt mehr noch als solche
Überlegun¬gen und mögliche formalästhetische Vergleiche
eine ganz simple Erfahrung; es ist ohne Belang, wo diese Plastiken sich
aufhalten, in der Unordnung des Ateliers, auf den Podesten der Galerie,
in den alltäglichen Bezügen des Wohnzimmers oder den gewachsenen
Verhältnissen einer Landschaft: sie haben eine Raum um sich, ohne
ihre Umgebung zu zerreißen; indem sie sich abheben, fügen
sie sich ein. Sinnvoll auch, dass zu ihrer wesentlichen Einmaligkeit
an dem jewei¬ligen Schnittpunkt von Phantastischem und Erinnertem
die tatsächliche, durch die Gußtechnik bedingte Einmaligkeit
jeder Arbeit kommt. Eine Reproduktion aus was immer für Gründen
wäre Verstoß gegen das eigene Gestaltungsgesetz, mehr: dessen
Aufhebung.
Wenn nun noch einige Worte andeutend zum Inhaltlichen der Figuren gesagt
sein sollen, so ist dies keine Negation der eingangs gemachten Feststellung
von der wörtlichen Unsagbarkeit des Phantastischen. Was sich ansprechen
lässt, ist die Herkunft, nicht die Zukunft, das Erinnerte, nicht
das Erfundene. Da zeigen sich - dies ist nur ein besonders auffälliger
Aspekt - Figuren auf der Grenze zwischen Mensch, Maschine und Material,
keine Roboter in technischer Präzi-sion, eher Gebilde aus den fluktuierenden
Zonen, wo die Aggregate zu spuken beginnen, wo der installierte Geist
sich misstrauisch und maliziös selbständig macht, Maschinengeister,
Homun¬culi, doch aus den Baukästen statt der Retorte geboren.
Oder will man’s von der Seite des Menschen sehen, wo das ja herkommt,
so zeigen sich Lebewesen, besser: Stehwesen, deren Phantasie sich nach
außen gekehrt hat, deren körperliche Lebendigkeit, Übergänglichkeit
so groß ist, dass sie die Form ihrer eigenen Vorstellungen annehmen.
Überall sind Öffnungen zu finden: Indizien der fortdauernden
Ausflüsse und Einflüsse. Wem es liegt, der kann hier Symbole
entdecken. Aber es genügt schon, wenn man die Entsprechungen feststellt,
da diese Plastiken, wir sagten es, unabhängig sind, der Bezüglichkeit
kaum bedürftig.
Es gibt eine Kunst, die das Perenniereride anstrebt, die sich allgemeinen
menschlich-ästhetischen Gesetzen verpflichtet weiß. Ihr gegenüber,
sie ergänzend und berichtigend, liegt jene, ebenso tief menschlich
begründete Kunsttätigkeit, die im Ausgreifen und Einholen,
im Aufschließen zukünftiger Welten ihren Sinn sieht. Ihr
ist Walter Heckmann verbunden. Aber seine Schöpfun¬gen sind
nicht utopisch. Sie liegen dort, wo die Verbindung zum Vergangenen andauert
und der Einfluss des Zukommenden unausweichlich ist.
|