Presse: Übersicht
Der Zwang zur Metamorphose


Ausstellung im Museum für Neue Kunst
Marienstraße 10a, Freiburg.

Badische Zeitung, 01.12.1999
 

Das Freiburger Museum für Neue Kunst zeigt Walter Heckmanns Arbeiten der sechziger Jahre.

Was ist das für ein Wesen? Irgendein Leben muss ihm inne wohnen, wie es sich kürbisgleich auf wurzelhaften Beinen oder Tentakeln streckt: Ein auf 40 Zentimeter aufgeschossenes Bakterium, ein grotesker Zwitter zwischen Tier- und Pflanzenreich. Walter Heckmanns namenlose Skulptur aus legiertem Aluminium entstammt jenem dunklen Terrain zwischen Traum und Tag, Erfahrungswelt und Imagination, in dem amorphe Gefühle Gestalt gewinnen.

„Tsamas" hat der 1929 in Freiburg geborene Künstler bauchige Skulpturen wie diese genannt - ferne Erinnerung an eine Tropenfrucht gleichen Namens. Als die Plastik entstand, Mitte der sechziger Jahre,, befand sich Heckmann in seiner ersten großen Schaffensphase. - 1970 sollte sich ein stilistischer Wandel seines Werkes ankündigen, eine, Hinwendung zum poetischen Realismus. Sein Umzug nach Frankfurt setzte auch einen Schlusspunkt hinter ein fruchtbares bildhauerisches Schaffen. Fünf Jahre, nach Heckmanns Tod erinnert das Freiburger Museum für Neue Kunst an sein Freiburger Jahrzehnt, das sich mit dem Begriffspaar „abstrakter Surrealismus" fassen lässt.

Ausgangspunkt von Heckmanns plastischem Schaffen ist die menschliche Figur. Rechts vom Eingang gibt eine rotschrundige Frau, deren Füße zwei Eisenhaken bilden (eine Statue aus den späten fünfziger Jahren) die Richtung vor: ihre Oberfläche roh, ihr Ausdruck wesenlos. Gegenüber, links von der Tür, das 60er-Jahre-Pendant. Bis auf die Grundform scheint daraus das Menschliche getilgt, Beine und Arme sind verschwunden, Spalten und Schrunden überziehen den Fragmentkörper - das Gesicht eine einzige Narbe. Doch die Haltung strahlt Würde aus - ein trotziges Dennoch und letztes Widerstehen.

Giacometti hat hier sichtlich Pate gestanden, und sucht man nach Inspirationen für die „Beobachter" genannten Aluminiumlegierungen der Folgezeit, der Name Max Ernst drängt sich auf, die erstarrten Bewohner seiner „Wälder nach dem Regen", die allmählich wieder mit jener Natur verschmelzen, der sie entstammen. Für Ernst stand der Regen synonym für den Weltkrieg, und auch Heckmanns durchlöcherte Skulpturen - verwitternde Schwundstufen des Menschlichen - scheinen auf Spuren der Gewalt zu verweisen. Einer versucht offenbar den verstümmelten Körper durch einen Schild zu decken. Heckmanns Figuren rühren an. Menschlich aber erscheinen sie nur in der Frontansicht.

Der Maschinenmensch, ein erschreckender Mutant. Eine weitere Stufe der Abstraktion, zugleich ein Parallelweg: die kubischen und gerundeten Formen aus denen sich, einem Geburtsvorgang gleich, Wülste und Kugeln drängen: Eine Entsprechung findet dieses bizarre bildhauerische Werk in Gouachen und Tuschezeichnungen der 60er-Jahre: dick gespachtelte Flächen, lange Pinselkerben, plastische Texturen in verhaltenen Farben.

Schwarz-weiß tritt uns ein erschreckender Mutant auf Karton entgegen, der die nicht mehr vorhandenen Arme zu recken sucht. Ein Maschinenmensch, eine Degeneration. Die Unsicherheit der Existenz, unser Zwang zur nicht unbedingt glückenden Metamorphose, spricht sich in jedem der Werke aus, die Sabine Heilig aus Freiburger Privatsammlungen und aus dem Besitz der Witwe zusammengetragen hat: eine kleine, eindringliche Schau, die bedauern lässt, dass der Name Walter Heckmann in Freiburg an Bekanntheit verliert.

Stefan Tolksdorf